15.9.23 / MORIOKA / ODATE

15.9.23 / MORIOKA / ODATE

Heute sind wir am nördlichsten Punkt unserer Reise angekommen. Die Kleinstadt Odate erlangte Berühmtheit durch den treuen Hund Hachiko, der hier am Bahnhof 10 Jahre nach dem Tod seines Besitzers noch immer auf ihn gewartet hat. Das Denkmal haben wir erst im letzten Moment entdeckt. Wir sind mit dem Bus von Morioka heraufgekommen, erstmalige Überquerung der Berge, die Ost- von Westjapan trennen. Dichtbewaldete Berge und leuchtende Reisfelder in den Ebenen. Hie und da dazwischen ein weißer Reiher wie ein Kontrapunkt.

Odate war ein wichtiges Ziel, da wir mehr über die Handwerkskunst des Magewappa erfahren wollten. Das ist eine Holzbiegetechnik, bei der feine Streifen der japanischen Zeder im befeuchteten Zustand über Holzformen gebogen werden. Die Streifen werden in 90°C heißem Wasser weich gemacht, ohne Handschuhe biegen dann die Könner in einem einzigen Arbeitsschritt die Zeder um die jeweilige Form. Das dauert wenige Sekunden, Fehler könne danach allerdings nicht mehr korrigiert werden. In 50 Arbeitsschritten entsteht hier z.B. eine hochwertige Bentobox.

Wir sind heute bei der Firma Odate Kougeisha, mit 34 MitarbeiterInnen der größte der fünf Betriebe in Odate. Ein Vorzeigebetrieb, der wirklich erstklassige Arbeitsbedingungen wie helle Arbeitsräume, gute Absaugungen, Sicherheitvorkehrungen bietet. Fünf der MitarbeiterInnen tragen den Titel „Japanese traditional craftsman“ der nach einer Prüfung mit sehr hohen Kriterien und mindestens 12 Jahren einschlägiger Praxis vergeben wird. Und was noch gegenüber den anderen Betrieben auffällt ist, man macht sich darüber Gedanken wie man den Einschlag, immerhin werden hier Zedern verarbeitet die mindestens 150 Jahre alt sind und nur ca. 1% des Bestands ausmachen, so gering wie möglich halten kann.

Daher wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem man den gesamten Stamm verwerten kann und nicht nur die Kernschichten. Man gewinnt so nochmals 100% an Material oder umgekehrt verringert die benötigte Holzmenge um 50%. Wir trinken heute eisgekühlten Kaffee aus den daraus hergestellten Tassen, ein Genuss! Die Kanten sind abgerundet, das ergibt ein sehr angenehmes Gefühl bei der Berührung mit den Lippen. Die unterschiedliche Färbung von Kern- und Randholz verleiht eine andere Ästhetik als bei klassischem Magewappa, bei dem der Anspruch besteht, dass die Färbung durchgehend exakt gleich sein muss. Besonders beliebt in Japan sind in Magewappatechnik hergestellte Sakebecher und Bentoboxen. Auch Suppenschüssel finden großen Anklang und in dieser Region werden Nudelsuppen ausschließlich in diesen Schüsseln serviert, sehr gerne auch Reis.

Uns gefallen die Magewappaprodukte so gut, dass wir gleich für nächstes Jahr einkaufen.

Die Tradition des Magewappa stammt aus der Zeit nach dem Ende der War Periode, als Japan noch aus vielen kleinen Fürstentümern bestand, die sich ständig bekriegten. Mit Beginn der Edo Zeit waren die Samurai arbeitslos und es herrschte große Armut in der Region. Der Zedernbestand war der einzige Reichtum und so entstand, gefördert von der Fürstenfamilie, die das Holz aus den eigenen Wäldern bereitstellte, diese einzigartige Produktion. Die Produkte waren schnell in ganz Japan verbreitet und beliebt, ein Jammer, dass mit dem Siegeszug des Plastiks der Verkauf der Bentoboxen stark rückläufig war.

Die Ursprünge der Firma Odate Kougeisha gehen auf die Herstellung von Namahage Puppen zurück. Diese Puppen wiederum sind auf ein Ritual zurückzuführen, das unserem Perchtenlauf sehr ähnlich ist. Die bösen Geister werden am Ende des Winters, und der konnte auch hier recht streng sein, vertrieben. Bekleidet sind sie mit einem aus Stroh gefertigten Regenmantel und sie tragen Masken, die frappant an unsere Schiachperchten erinnern. Diese Schiachperchten übernehmen auch die Rollen der Krampusse und ziehen in bestimmten Winternächten von Haus zu Haus, fragen ob die Kinder brav waren und es soll schon passieren, dass sie Kinder und vor allem Jugendliche schlagen.

 

Ähnliche Konzepte haben wir schon in vielen Kulturen erlebt, es geht offensichtlich immer wieder um Einschüchterung, um den Versuch die Jugendlichen davon abzuhalten, eigene Wege zu beschreiten und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und letztendlich zu verändern. Vor allem die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung von Prinzipien wird auch in Japan immer mehr hinterfragt und abgelehnt.

Nach Akita, der Hauptstadt der gleichnamigen Region, fahren wir mit einem Lokalzug. Es Ist jetzt 16 Uhr, die Sonne scheint aber die Temperaturen sind hier heroben bei der Abfahrt sehr angenehm. Mit uns fahren viele Schülerinnen und Schüler in ihren Uniformen. Die relativ wenigen Sitzplätze reihen sich entlang der Fenster, uns gegenüber schlafen einige, ein Mädchen gleich neben mir liest ein Manga mit Hasen, der Heftumschlag neutral eingebunden, sodass man nicht gleich erkennen kann, was gelesen wird. Offen zur Schau gestellt werden Buchtitel grundsätzlich nicht, wenn man in der Öffentlichkeit ist. Schwer zu erklären was daran schlecht sein soll, Big Brother holt sich sicher woanders seine Informationen zur jeweiligen Person.

So rumpeln wir gemütlich durch die Gegend und begegnen unserem ersten Windkraftwerk überhaupt. Der Zug wird jetzt ziemlich voll in Higashimasho. Gerade hat sich ein Schüler zu mir gesetzt und mich neugierig gefragt, was wir hier machen. Sein Englisch hat er größtenteils aus dem Internet, vor allem von YouTube erzählt er mir. Ein sympathischer junger Bursche, hat Spaß gemacht. Er hat sofort erkannt, dass ich in deutsch schreibe und sich darüber gewundert, da er erst verstanden hatte, dass ich aus Australien komme.

Nach einem langen Reisetag mit Bus, Taxi und Lokalbahn kommen wir früh abends im Hotel in Akita an. Wir sind jetzt an der Westküste angekommen. Lore fotografiert nun immer die Türnummer. Es ist das neunte Hotel. 23 werden es am Ende sein. Da kommt man leicht durcheinander.

Gleich um die Ecke finden wir ein ausgezeichnetes Restaurant, das Wagyu Beef vom Feinsten serviert. Kommuniziert wird mittels Translator, der Chefin macht das offensichtlich Spaß, nach der zweiten Runde überlassen wir ihr die Wahl und was wir für unseren Tischgriller bekommen, ist allererste Wahl. Ein wunderbarer Ausklang eines spannenden Tags.

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